
Biden kritisiert Netanjahu - "Er schadet Israel mehr, als dass er Israel hilft", sagte Biden
Israel treibt trotz der laufenden Verhandlungen über eine Waffenruhe Vorbereitungen für eine Bodenoffensive in Rafah im Süden Gazas voran, um die verbliebenen Hamas-Bataillone zu zerschlagen und dort vermutete Geiseln zu befreien. In der an Ägypten grenzenden Stadt suchen derzeit 1,5 Millionen verzweifelte Palästinenser auf engstem Raum Schutz vor den Kämpfen in anderen Gebieten des abgeriegelten Küstengebiets.
Es dürfe nicht zugelassen werden, dass als Konsequenz aus dem Vorgehen gegen die Hamas weitere 30.000 Palästinenser sterben, mahnte Biden in dem Interview auf die Frage, ob eine Bodenoffensive in Rafah für ihn eine rote Linie darstelle. Laut der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde wurden bislang schon mehr als 30.000 Menschen in Gaza getötet. Bei propalästinensischen Demonstrationen in Paris und London forderten Medienberichten zufolge Zehntausende von Menschen eine sofortige Waffenruhe.
Die Hamas verlangt einen dauerhaften Waffenstillstand, einen vollständigen Abzug der israelischen Streitkräfte aus dem Gazastreifen, die Rückkehr der Binnenvertriebenen in ihre Häuser und den Beginn des Wiederaufbaus in dem Palästinensergebiet. Israel lehnt dies ab und kritisiert zudem die bislang nicht erfolgte Übergabe einer Liste noch lebender Geiseln durch die Hamas.
Die seit Wochen andauernden zähen Gespräche unter Vermittlung der USA, Ägyptens und Katars waren am Donnerstag von der Hamas mit der Begründung abgebrochen worden, die bisherigen Antworten der israelischen Regierung erfüllten "nicht die Mindestanforderungen". Viele hatten auf eine solche Einigung gehofft, damit mehr Hilfsgüter in den Gazastreifen gelangen und Hamas-Geiseln freikommen können.
US-Präsident Biden hatte bereits am Freitag die Hoffnungen auf eine Feuerpause und die Geiselfreilassung vor Ramadan-Beginn gedämpft. Die Chancen seien eher "gering", sagte er. US-Außenminister Antony Blinken sagte, das Problem bei den Verhandlungen sei die Hamas. "Der Ball ist in ihrem Feld."
Der US-Präsident macht mittlerweile keinen Hehl mehr aus seiner Frustration. Der israelische Ministerpräsident habe "ein Recht, Israel zu verteidigen, ein Recht, die Hamas weiter zu verfolgen", sagte Biden in einem am Samstag ausgestrahlten Interview mit dem US-Sender MSNBC. Er müsse aber "den unschuldigen Menschen, die als Folge der ergriffenen Maßnahmen ums Leben kommen, mehr Aufmerksamkeit schenken".
US-Präsident Biden beschrieb die Lage der Menschen in Gaza als "verzweifelt". Er betonte zwar, die Verteidigung Israels sei "immer noch von entscheidender Bedeutung". Er werde die Seite Israels nie verlassen. "Ich glaube, das ist ein großer Fehler." Netanjahu habe das Recht, Israel zu verteidigen und die Hamas weiter zu bekämpfen. "Aber er muss, er muss, er muss den unschuldigen Leben größere Aufmerksamkeit schenken, die in der Konsequenz der ergriffenen Maßnahmen verloren gehen", fügte der US-Präsident hinzu. Zuletzt hatten ranghohe Vertreter seiner Regierung ihre Tonlage gegenüber Israel zunehmend verschärft.
Das US-Militär hat derweil damit begonnen, Ausrüstung für den Bau einer provisorischen Schiffsanlegestelle vor der Küste Gazas in die Region zu transportieren. Das teilte das zuständige Regionalkommando Centcom auf der Plattform X, ehemals Twitter, mit. Am Donnerstag hatten die USA das mit internationalen Partnern geplante Vorhaben angekündigt, um Lebensmittel, Wasser und Medikamente in das Kriegsgebiet zu bringen.
Während die Kämpfe im Gazastreifen ebenso weitergingen wie die fieberhaften Bemühungen um eine Einigung auf eine Feuerpause, wurde in Zypern ein erstes Versorgungsschiff für die notleidenden Menschen im Gazastreifen beladen. Die US-Hilfsorganisation World Central Kitchen teilte mit, dass sie im zyprischen Hafen Larnaka Hilfsgüter auf ein in den nördlichen Gazastreifen ablegebereites Schiff verladen habe.
Der "Piloteinsatz" war gestartet worden, nachdem mehrere Staaten - darunter Deutschland - die Öffnung eines maritimen Hilfskorridors von Zypern in den Gazastreifen angekündigt hatten. Der geplante Bau einer Landungsbrücke vor der Küste des Gazastreifens wird allerdings nach US-Angaben wochenlang dauern. Das US-Zentralkommando (Centcom) erklärte, ein Schiff der US-Armee mit "erster Ausrüstung" für die provisorische Anlegestelle habe am Samstag den Stützpunkt Langley-Eustis im US-Bundesstaat Virginia verlassen.
Hilfsorganisationen warnen seit Wochen vor einer Hungersnot in dem Palästinensergebiet. Angesichts der katastrophalen Lage der Zivilbevölkerung erklärten Kanada und Schweden am Samstag, ihre Zahlungen an das umstrittene UN-Palästinenserhilfswerk UNRWA wiederaufzunehmen.