
G20-Gipfel: Wenn Lawrow stolpert, Modi umarmt und Scholz lächelt
Russlands Außenminister Sergej Lawrow verzieht keine Miene, als er in Neu-Delhi auf dem roten Teppich, entlang an den Flaggen der einzelnen Nationen, zur Begrüßung von Gastgeber Narenda Modi schreitet. Lawrow weiß, dass die Kamera jede Regung einfängt. Der 73-Jährige kommt für Präsident Wladimir Putin, der sich nicht ins Ausland wagt, weil ein internationaler Haftbefehl gegen ihn vorliegt. Schon letztes Jahr reiste er deswegen nicht zum G20-Gipfel nach Bali. Lawrow vertritt also das Land, das die Ukraine seit bald 19 Monaten mit einem fürchterlichen Krieg überzieht. Und dann wäre er fast gefallen.
Eine Kante, eine Welle im Teppich könnte die Stolperfalle gewesen sein. Indiens Premierminister reicht ihm schnell die Hand. Beide lächeln. Russland aufgefangen von Indien. Als stünde das symbolisch dafür, dass Modi in der "forward-looking-Sprache" eine Verurteilung Russlands in die Abschlusserklärung vermeiden will, wie sie beim Gipfel im vorigen Jahr auf Bali noch Eingang gefunden hat. Der 72-Jährige will Einmütigkeit. Und könnte daran scheitern. Russland und China wollen eine solch kritische Textpassage unbedingt verhindern, Staaten wie Brasilien und Südafrika zeigen Verständnis. Die USA, Deutschland und weitere westliche Staaten halten dagegen. Eine 18:2-Erklärung – alle gegen Moskau und Peking – lehnt Modi ab.
Seit Gründung dieses Formats 2008 wäre es der erste Gipfel, der kein Abschlusskommuniqué zustande bringt. Für die indische G20-Präsidentschaft und das mit 1,4 Milliarden Menschen bevölkerungsreichste Land der Welt wäre das ein schwerer Schlag. Chinas Staatschef Xi Jinping würde sich freuen. Wie Putin ist auch er nicht angereist – ein Treffen der großen Wirtschaftsmächte ohne das chinesische Staatsoberhaupt hat es bisher auch noch nicht gegeben. Es ist vermutlich eine Machtdemonstration gegen Modi.
Er will Indien zum Anführer des sogenannten globalen Südens machen. Oder muss man künftig Bharat sagen? Vor dem Gipfel gab es Spekulationen, dass die hindu-nationalistische Regierung Indien in den alten Sanskrit-Namen umbenennen will. Auf Modis Namensschild steht nun, dass er der Premier von Bharat ist. Nicht Indien.
Zurück zur Körpersprache: Eine Umarmung gilt in Indien als ganz besondere Geste. Indische Moderatoren registrieren genau, wen Modi herzt. Den brasilianischen Präsidenten Luiz Lula da Silva zum Beispiel. Er hat als Einziger seine Frau zu dem Gipfel mitgenommen. Besonders herzlich empfängt Modi den britischen Premierminister Rishi Sunak, dessen Familie ursprünglich aus dem indischen Punjab stammt. Auch Saudi-Arabiens Premierminister und Kronprinz Mohammed bin Salman Al Saud bekommt eine Umarmung.
Olaf Scholz und Modi geben sich die Hand. Scholz lächelt freundlich. Im Gegensatz zur kurzen Begegnung mit Italiens Ministerpräsidentin Georgia Meloni bleiben Modi und Scholz etwas auf Abstand. Meloni muss Modi etwas sehr Witziges erzählt haben. Er muss jedenfalls richtig lachen.
TV-Moderatoren wundern sich zunächst über Scholz´ Augenklappe, sie reden über den internationalen Einfluss seiner Vorgängerin Angela Merkel (CDU) und sagen wie schwer es sei, nach deren langer Kanzlerschaft eigene Schwerpunkte zu setzen. Offenbar googelt derweil ein Kollege Scholz´ Augenklappe. "Joggingunfall", wird zur Begründung nachgeliefert.
Ganz fest umarmt wird aber Azali Assoumani, Präsident der Komoren. Er ist zugleich der Vorsitzende der Afrikanischen Union (AU). Modi verkündet bei der Gipfel-Eröffnung, dass die AU neues Mitglied der G20 werde. "Im Einverständnis mit euch allen möchte ich den Vorsitzenden der Afrikanischen Union einladen, seinen Sitz als permanentes Mitglied der G20 einzunehmen", sagt Modi feierlich. Und umarmt Assoumani erneut. Der AU gehören 55 Staaten an. Sie vertritt rund 1,3 Milliarden Menschen. Die EU, die schon lange G20-Mitglied ist, hat 27 Staaten mit 450 Millionen Menschen.
Die Aufnahme der Afrikanischen Union will Modi als wichtigen Erfolg des Gipfels verbuchen. Beim Klimaschutz und Russlands Krieg gegen die Ukraine sieht es am Samstag mit einer Einigung noch extrem schwierig aus. Modi sagt, nach der Corona-Pandemie habe der Krieg den Vertrauensverlust in der Welt weiter verschärft. Und mahnt: "Wenn es uns gelingen kann, Covid zu besiegen, können wir auch über das vom Krieg ausgelöste Vertrauensdefizit triumphieren." Lawrow betont, es gehe bei dem Gipfel um Wirtschaftsfragen und die Stabilität des Finanzsystems und nicht um Fragen der globalen Sicherheit.
Die G20-Gruppe gehören zwar neben der EU die 19 stärksten Volkswirtschaften der Welt an und sie ist in Zeiten der internationalen Finanzkrise als zentrales Forum für die wirtschaftliche Zusammenarbeit entstanden. Sie kümmerte sich aber schnell auch um andere globale Krisen wie die Terrorbekämpfung und den Klimaschutz. 2014 wurde auf dem Gipfel dann über die russische Annexion der Krim gesprochen. Die G20 ist einer der wenigen Orte, an dem der Westen und Russland noch direkt zusammentreffen.
Und so appelliert Modi auch an die Staats- und Regierungschefs, zusammenzurücken und Lösungen zu finden. Für die "Aufs und Abs in der Weltwirtschaft", für die "Kluft zwischen Nord und Süd" - und den "Riss zwischen Ost und West".