
Warum Annalena Baerbock erneut nach Nahost reist – und welche Station besonders brisant wird
Dies ist von besonderer Brisanz: Aus dem Libanon agiert die Hisbollah unter ihrem Führer Hassan Nasrallah, die sich ausdrücklich mit Hamas solidarisiert und deren Terroranschläge in Israel gefeiert hatte. Die Ausweitung des Konflikts auf den Libanon gilt als eine der akutesten Gefahren: Israel beschießt immer wieder Stellungen der Hamas im Libanon. Umgekehrt beschießt die Hisbollah-Miliz immer wieder das Nachbarland. Israel hat vor einigen Tagen die Bewohner des Grenzstreifens aufgefordert, sich in andere Landesteile zu begeben.
Das Problem in Libanon ist auch: Die politische Durchsetzungskraft der Ansprechpartner ist fraglich. Seit der Parlamentswahl 2022 ist noch keine Regierungsbildung gelungen. Ministerpräsident und Minister sind nur geschäftsführend im Amt. Unter der Vorgängerregierung hatte es mit einem gemeinsamen Seeabkommen eine kleine Annäherung gegeben.
Baerbock wird versuchen, den Libanon davon zu überzeugen, sich von einer Hamas-bestimmten Tagesordnung abzukoppeln. Der Terror der Hamas ziele darauf, "die bisher erreichten Annäherungsschritte zwischen Israel und seinen arabischen Nachbarn in Gefahr zu bringen und die arabischen Länder vom globalen Norden zu trennen", erklärte sie vor ihrem Abflug. "Dieses terroristische Kalkül darf nicht aufgehen."
Sie erklärte sich erneut solidarisch mit Israel, betonte aber auch, das Leid von Palästinensern und Palästinenserinnen zu sehen. "Die humanitäre Lage für Hunderttausende unschuldiger Menschen in Gaza ist katastrophal", sagte sie. Lebensmittel, Wasser und Medizin müssen ungehindert nach Gaza kommen. Darum soll sich auch eine neu ernannte Sondergesandte des Auswärtigen Amtes kümmern.
In allen drei Ländern wird es für Baerbock um diese Schwerpunkte gehen: eine weitere Eskalation des Konfliktes vermeiden, die humanitäre Lage der Bevölkerung im Gazastreifen verbessern – und die von der Terrororganisation Hamas aus Israel verschleppten Menschen frei bekommen. Durch die Zerstörung eines Krankenhauses in Gaza, für die sich Hamas und Israel gegenseitig die Schuld geben, hat sich die Lage nun zugespitzt. Jordaniens König sagte ein für Donnerstag geplantes Treffen mit US-Präsident Joe Biden, Ägyptens Präsident Fattah al Sisi und dem Chef der palästinensischen Autonomiebehörde, Mahmut Abbas, ab.
Jordaniens König Abdullah II hatte zuvor bei einem Besuch im Kanzleramt am Dienstag allerdings nachdrücklich das Ende des Konflikts und eine politische Lösung gefordert: "Es reicht!", sagte er. "Dieser neue Zyklus der Gewalt führt uns in Richtung Abgrund. Die Bedrohung, dass sich dieser Konflikt ausweitet, ist echt. Die Kosten sind für alle zu hoch." Dringend nötig sei ein neuer Anlauf für die Zweistaaten-Lösung, die einen unabhängigen palästinensischen Staat vorsieht. Baerbock wird am Donnerstag versuchen, daran anzuknüpfen.
Ebenfalls am Freitag besucht die Ministerin erneut Israel. Nach den Hamas-Anschlägen auf Zivilisten in Israel am 7. Oktober – unter anderem auf einem Musikfestival und in deren Häusern – hatte die Bundesregierung Israel Solidarität und volle Unterstützung zugesagt. "In diesen Tagen sind wir alle Israelis", sagte Baerbock bei ihrem Besuch am Wochenende. Nach ihrer Rückkehr aus Israel berichtete sie in der ARD-Sendung "Anne Will" sichtlich angefasst von den Gesprächen mit Angehörigen von Terroropfern. "Wenn man das hört und spürt, dann hat man immer wieder dieses Gefühl: ‚Mein Gott, das könnten wir alle sein‘", sagte sie. Die Entwicklungen in Nahost machten deutlich: "Wir können alle bei den Sorgen, die wir haben, jeden Tag und vor allem jede Nacht nur dankbar sein, dass wir mit unseren Familien hier in Frieden und in Sicherheit leben können."
Nach Angaben des Auswärtigen Amtes sind auch Deutsche bei den Attentaten gestorben. Auch unter den Entführten befinden sich einige Deutsche. Die Bundesregierung bemüht sich außerdem, deutschen Staatsangehörigen die Ausreise aus dem blockierten Gazastreifen zu ermöglichen. Ein Krisenstab im Auswärtigen Amt tage rund um die Uhr, betonte Baerbock vor Abreise erneut.
Neben der deutschen und der US-Regierung ist auch die britische Regierung in die Pendeldiplomatie eingestiegen: Heute wird Premierminister Rishi Sunak in Israel erwartet, Außenminister James Cleverly in Ägypten.