
Aufräumen nach dem Hochwasser - "Wie sollen wir das bloß schaffen?"
Der finanzielle Verlust sei das eine, meint die Anwohnerin. Viel schlimmer seien aber die persönlichen Erinnerungsstücke, die ihr das Hochwasser genommen hat. So wie ein Foto ihrer Oma, das gerahmt im Souterrain stand. "Als alles unter Wasser war, kamen viele Helfer, es war chaotisch", erzählt Sabine Busch. Da sei ihr das Bild eingefallen, auf der Suche nach dem Andenken habe sie alles auf den Kopf gestellt. Ihr Sohn habe das Foto schließlich gefunden und versucht zu trocken. "Das sind so die Momente...", sagt sie und ihre Stimme bricht weg. "Das war so...boah, da musste ich erstmal raus aus dem Haus, die Straße hochlaufen, mich ablenken und daran denken, dass es anderen noch schlechter geht."
Seit Weihnachten ist die Gemeinde eine einzige Seenlandschaft, noch immer sind viele Wiesen überflutet und die Wörpe - eigentlich nur ein kleiner Nebenfluss der Wümme - ein reißender Strom. Doch die Pegelstände sinken, das Wasser auf den Straßen ist fast abgepumpt. "Wir sind weiterhin optimistisch, dass sich die Lage auf längere Sicht entspannt", sagt Marilena Koch von der Gemeinde.
Vorsichtige Entwarnung gibt auch der Niedersächsische Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN). "Wir hatten eine absolute Ausnahmesituation in Niedersachsen", sagt ein Sprecher des Landesbetriebs am Donnerstag. Durch den Wetterwechsel und die Trockenheit entspanne sich die Lage nun langsam. Zwar liegen einige Pegelstände weiter über der höchsten Meldestufe. "In den Unterläufen der Aller und Leine sind die Pegel noch über der Meldestufe 3", schreibt die Behörde. Doch die Entwicklung sei positiv.
Auch in Lilienthal geht das Wasser zurück. Das "außergewöhnliche Ereignis", das schnelle Hilfe aus anderen Regionen ermöglicht, ist seit dieser Woche offiziell vorbei. Alle 338 evakuierten Menschen dürfen wieder in ihre Wohnungen und Häuser zurück. Doch erst jetzt werden die Schäden sichtbar - und die Aufräumarbeiten beginnen. Wie groß das Ausmaß der Zerstörung ist, ist nach Angaben der Gemeinde noch nicht absehbar. "Es gibt diverse Häuser, die massiven Schaden genommen haben", berichtet die Gemeindesprecherin. Irgendwann soll es eine Bilanz geben.
"Wir sind viel dabei, zu sondieren: Wo können wir was machen?", sagt Marilena Koch. Die Pumpen laufen weiter auf Hochtouren, das brummende Geräusch gehört schon zum Alltag. Ein Stromverteiler sei wegen des Wassers noch nicht wieder in Betrieb. "Es sind immer noch sieben Häuser, die keinen Strom haben. Aber die Häuser sind beheizt." Sie sei optimistisch, dass der Strom in den kommenden Tagen auch dort wieder angestellt werden könne. Das ehemalige Evakuierungsgebiet soll noch bis Ende März durch riesige Sandsäcke - sogenannte Bigbags - gesichert werden, erst dann endet die Sturmflutsaison.
Für die Gemeinde mit rund 20 000 Einwohnern ist das Hochwasser ein Kraftakt. "Auch in der Verwaltung haben viele Menschen durchgearbeitet. Wir haben einen Stab, der immer noch aktiv ist", sagt Koch. Aber die Not mache auch erfinderisch: Lilienthal richtete ein Bürgertelefon und einen eigenen WhatsApp-Kanal ein - binnen kürzester Zeit folgten rund 12 000 Menschen. "Wir haben ganz positive Rückmeldungen und können daraus lernen für die Zukunft."
Viele Menschen aus der Gemeinde seien in der Krise näher zusammengerückt. "Wir sind immer noch überwältigt von der Solidarität", sagt Koch. Sie erzählt, wie nach einem Aufruf zur Hilfe bei der Befüllung von Sandsäcken in kurzer Zeit knapp 300 Menschen vor Ort waren. Ehrenamtliche Helferinnen und Helfer zahlreicher Organisationen, Freiwillige aus der Gemeinde, Lohnunternehmer, Landwirte - alle hätten zusammengearbeitet und zusammengehalten.
Bei der Koordination der Hilfe spielt auch die Freiwilligenagentur Lilienthal eine wichtige Rolle. Der eingetragene Verein hat auf seiner Homepage zum Beispiel eine Plattform, über die Bürgerinnen und Bürger Gesuche und Angebote angeben können. So können Menschen etwa Werkzeug verleihen, eine Unterkunft finden oder einen Fahrdienst suchen. Wer Jemanden zum Reden braucht, findet ebenfalls Angebote – verschiedene Frauen und Männer bieten unter der Kategorie "Offenes Ohr/Beistand" Zeit zum Zuhören und Reden an.
Außerdem hat der Verein ein Spendenkonto eingerichtet. Mit dem Geld sollen Menschen unterstützt werden, die durch das Hochwasser Kosten haben, die von keiner Versicherung übernommen werden. Die Spenden sollen zudem ein Dankeschön und Verpflegung für die unzähligen Einsatzkräfte ermöglichen, wie es auf der Homepage der Freiwilligenagentur heißt.
Auch die Regierung verspricht finanzielle Unterstützung - bis zu zehn Millionen Euro Soforthilfe sollen Betroffene erhalten. "Die Landesregierung wird bei akuten Notfällen helfen und niemanden im Stich lassen, der oder die durch das Hochwasser in eine echte Notlage geraten ist", versicherte Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) vergangene Woche.
Doch wie lange dauert es, bis das Geld da ist? Eine Anwohnerin in Lilienthal zuckt nur ratlos mit den Schultern. "Wie sollen wir das bloß schaffen?", fragt die Seniorin. Gemeinsam mit ihrem Mann sei sie mit einem Boot evakuiert worden. "Diese Straße war ein Fluss. Wir wohnen seit 53 Jahren hier, das gab es noch nie." Erst am Dienstag seien sie wieder zurückgekommen. Auch vor ihrer Garage türmt sich mittlerweile der Sperrmüll - Regale, die Bretter der Holzvertäfelung im Keller. "Die Kinder kommen immer nach Feierabend und räumen alles raus." Dem Ehepaar selbst fehle die Kraft dazu. Doch wohin damit? Die Straße ist nach wie vor nur zu Fuß erreichbar, Pumpen versperren die Zufahrt.
Die Gemeinde überlege bereits, wann sie zusätzliche Fahrten für Sperrmüll anbieten kann. Und was soll mit all den Sandsäcken passieren? Lilienthal hat mehr als 130 000 Sandsäcke verteilt und verbaut, berichtet die Gemeindesprecherin. "Irgendwann muss man sie entsorgen."
Doch der Frost hat viele Sandsäcke festfrieren lassen, sie lassen sich nicht bewegen. Auch ein mit Wasser gefüllter mobiler Deich im Garten der Nachbarn sei gefroren, erzählt Familie Busch. Und das Hochwasser auf den Pferdeweiden hinter ihrem Haus ist mit einer Eisschicht überzogen, ein paar Kinder wollen dort Schlittschuh laufen. "Seht bloß zu, dass ihr verschwindet", ruft der Mann von Sabine Busch ihnen zu. Niemand wisse, was unter der Eisfläche verborgen sei. An einigen Stellen unter der Eisschicht könnte das Hochwasser noch 1,5 Meter tief sein.
"Ich bin nur froh, dass der Frost nicht da war, als das Wasser hier stand", meint Sabine Busch. "Wir wären in unseren Anglerhosen und Gummistiefeln gar nicht durchgekommen." Auch wenn sie das Wasser rechtzeitig abpumpen konnten, steckt die Feuchtigkeit in den Wänden und es bilden sich erste Eiskristalle an den Mauern. "Der Frost bricht den Beton auf", sagt ihr Mann und deutet auf den bröckelnden Boden der Garage. "Man kann mit gefrorenem Wasser alles kaputt sprengen." Es sei ein Wettlauf gegen die Zeit und die Kälte. Heizen, entfeuchten, lüften. Auch bei der klirrender Kälte muss die Familie die Fenster aufreißen, um die Feuchtigkeit loszuwerden.
An den Außenmauern ihres Backsteinhauses sind schon erste Risse zu sehen. Am Donnerstag kommt ein Gutachter der Versicherung, der sich einen ersten Eindruck von den Schäden macht. Die Familie macht sich wenig Illusionen. "Das muss von Grund auf saniert werden. Das ist einfach so." Die Anstrengung der vergangenen Wochen ist spürbar, an manches kann sich Sabine Busch nur noch bruchstückhaft erinnern. "Da sind Lücken, ganz viele Lücken. Und so viele Fragen: Wie soll es bloß weitergehen? Können wir das alles aufräumen? Wer soll das zahlen?"
Hinzu kommen quälende Sorgen, dass mit dem Hochwasser auch die Unterstützung schwindet. "Hoffentlich kommen sie alle wieder", meint ihr Mann. "Um die Sandsäcke wegzubringen, um aufzuräumen und um irgendwann wieder Tapeten anzukleben. Vielleicht auch mit einem Kuchen für alle, die weiterhelfen."
dpa