
Die "Schlagloch-Pandemie": Großbritannien leidet unter Straßenschäden
Tatsächlich sind auch 60 Jahre nach den Beatles die "potholes" ein beherrschendes Thema für Autofahrerinnen und -fahrer in England. Seit einiger Zeit wird jedes Jahr am 15. Januar der National Pothole Day begangen, der Schlaglochtag, um auf das Problem aufmerksam zu machen. Manche Straßen sind so löchrig wie ein Schweizer Käse.
Von mindestens einer Million Schlaglöcher geht der Verkehrsdienstleister RAC aus. In England und Wales gebe es auf öffentlichen Straßen schätzungsweise sechs potholes pro Meile (1,6 Kilometer). Eine Anfrage bei 185 Gemeindeverwaltungen in England erlaubt nur einen ungefähren Eindruck, denn mit 81 antwortete nicht einmal die Hälfte. Bei ihnen gab es im Jahr 2021/22 (31. März) insgesamt 556 658 Schlaglöcher, tatsächlich dürfte es also ein Vielfaches sein.
Die oppositionellen Liberaldemokraten sprachen unlängst von einer "Schlagloch-Pandemie". "Es ist mittlerweile in einigen Teilen des Landes fast unmöglich zu fahren, ohne Schlaglöchern ausweichen zu müssen", sagte Helen Morgan, die infrastrukturpolitische Sprecherin der Partei. Allein im Oktober 2023 musste der Autofahrerverband AA - das Pendant zum ADAC - 52 152 Mal wegen Fahrzeugen ausrücken, die durch Straßenmängel beschädigt wurden. Im Gesamtjahr waren das bis dahin mehr als 511 000 Einsätze - weit mehr als 1500 pro Tag. "Kaputte Straßen und gebrochene Hälse: Leben im Schlagloch Großbritannien", überschrieb die Zeitung "Guardian" einen Artikel.
Die gefährlichen Straßen sorgen für hohe Kosten. Die Zahl der schlaglochbedingten Schadensfälle sei 2023 im Vergleich zum Vorjahr um 40 Prozent gestiegen, teilte der Versicherer Admiral kürzlich mit. Auch die durchschnittlichen Kosten pro Vorfall schossen in die Höhe, um 29 Prozent. Grund seien technologisch höherwertige Fahrzeuge sowie die gestiegenen Preise für Reparaturen. Gerade jetzt erwartet Admiral wieder mehr Probleme: Denn das zuletzt nasse und stürmische Wetter führe zu neuen Schlaglöchern und dazu, dass bestehende tiefer und größer würden. Auch Radfahrer sind gefährdet. Vor einem Jahr stürzte ein Rentner tödlich - er war in ein 23 Zentimeter tiefes Schlagloch geraten, in dem von den Beatles besungenen Lancashire.
Weil sie sich von der Regierung bisher im Stich gelassen fühlen, nehmen einige Leute das Problem in die eigene Hand. Musikstar Rod Stewart ließ sich im März 2022 dabei filmen, wie er persönlich ein Schlagloch nahe seinem Anwesen in Harlow füllte. Die Straße sei seit Jahren kaputt, sagte er damals.
Für Aufsehen sorgte auch ein Unbekannter, der sich "Wanksy" nennt - in Anlehnung an den mysteriösen Street-Art-Künstler Banksy - und um Schlaglöcher herum ejakulierende Penisse malte. Durchaus mit Erfolg. Wo seine Werke auftauchten, wurden Schlaglöcher oft rasch ausgebessert. Ähnlich humorvoll widmete sich das BBC-Programm "Look North" kürzlich dem Problem. Lachend forderte Moderator Peter Levy die Zuschauer auf, Fotos "ihrer größten Löcher" einzusenden.
Mit dem Spott - und den Unfällen - soll es bald vorbei sein. 8,3 Milliarden Pfund (9,65 Mrd Euro) kündigte die Regierung im November gegen die "Schlaglochplage" an, wie Premierminister Rishi Sunak das Problem nennt. Damit könnten in den kommenden elf Jahren rund 8300 Kilometer Straßen geflickt werden. In diesem und dem nächsten Finanzjahr sind jeweils 150 Millionen Pfund vorgesehen, der Rest dann bis 2034. Den Fahrerinnen und Fahrern soll das bis zu 440 Pfund Reparaturkosten einsparen helfen.
Schlaglöcher zu reparieren sei das eine, betont der RAC. Nötig sei aber auch, die Straßen zu pflegen. Helfen könnte moderne Technik: Das Tech-Unternehmen Robotiz3d und die Universität Liverpool haben einen Anti-Schlagloch-Roboter erfunden. Mithilfe von Künstlicher Intelligenz soll ARRES - so die englische Abkürzung für das "Autonome Straßenreparatursystem" - Schlaglöcher erkennen und füllen. Demnächst soll die Maschine erstmals unter realen Bedingungen getestet werden. Den passenden Beatles-Titel gibt es natürlich auch: "Fixing a Hole".