
Hochwasserlage in Niedersachsen bleibt angespannt – Dauerregen-Warnungen verlängert
"In einigen Regionen ist die Lage noch immer kritisch", sagte Wetterkontor-Meteorologin Britta Siebert-Sperl – vor allem in Niedersachen. Nach einer Übersicht des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz liegen weiter viele Pegelstände von Flüssen bei der Meldestufe 3. Das bedeutet, dass die Gefahr von größeren Überschwemmungen besteht.
Betroffen waren Orte an der Weser, Aller und Leine sowie teilweise auch deren Nebenflüsse. Auch der Fluss Hase, ein Nebenfluss der mittleren Ems im Landkreis Osnabrück, erreichte die Meldestufe 3. Für zahlreiche Gebiete warnte die Behörde vor einem großen Hochwasser. Im Bundesland Bremen ist etwa der Bremer Ortsteil Timmersloh von Überschwemmungen betroffen.
Vielerorts stehen große Flächen unter Wasser. Mit zahlreichen Einsatzkräften kämpfen viele Orte und Städte gegen Überschwemmungen, sichern Deiche und errichten zusätzliche Schutzbarrieren. Angespannt ist die Lage in den Landkreisen Celle, Oldenburg, Emsland, Osterholz, Heidekreis und Verden.
Hochwasserbedingt waren in Niedersachsen bereits in den vergangenen Tagen Hunderte Menschen in Sicherheit gebracht worden. Innenministerin Daniela Behrens (SPD) sprach im Sender NDR-Info von weit unter 2000 Menschen. Angesichts der Lage sei dies nicht sehr viel, sagte die Ministerin. Dies zeige, dass die Schutz- und Stabilisierungsmaßnahmen an den Deichen gut funktionierten. Eine genauere Zahl der Evakuierten konnte das Ministerium am Dienstag zunächst nicht nennen.
In der Stadt Oldenburg wappnen sich die Menschen weiter gegen das Hochwasser. Am Mittwoch können Anwohnerinnen und Anwohner aus Straßen, die vom Wasser bedroht sind, Sandsäcke bekommen. "Mit diesen Sandsäcken können die betroffenen Anwohnenden an ihren Häusern Öffnungen wie Kellerzugänge und Türen abdichten", teilte die Stadt auf ihrer Homepage mit. Sie verwies darauf, dass die Sandsäcke nur an Anwohner von bestimmten, betroffenen Straßen ausgegeben werden. Die Stadt hatte bereits in den vergangenen Tagen Sandsäcke an Bewohnerinnen und Bewohner verteilt.
Die Hochwasserlage an der Hunte in Oldenburg ist seit Tagen angespannt. Einsatzkräfte haben einen mobilen Deich errichtet – auf rund zwei Kilometer Länge. Der Deich ist eine Vorsichtsmaßnahme, falls der Huntedeich den Wassermassen nicht mehr standhalten kann. Wegen des Hochwassers sollten sich in Oldenburg mehrere Hundert Menschen auf eine mögliche Evakuierung vorbereiten.
Niedersachsens Landesregierung will prüfen, wie man vom Hochwasser Betroffenen finanziell helfen kann. Das kündigte Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) am Mittwoch in Hannover an. Man könne den Großteil der Schäden aber noch nicht beziffern, weil sie noch unter Wasser seien, sagte der Ministerpräsident. Eine Möglichkeit könnten Weil zufolge sogenannte Billigkeitsleistungen sein. Diese habe es beim Hochwasser 2017 gegeben. Laut Weil umfassten diese Leistungen damals zehn Millionen Euro. Eine Größenordnung für die möglichen neuen Hilfen nannte er zunächst nicht.
Weil und Wirtschaftsverbände appellierten zudem an Unternehmen, Helferinnen und Helfer weiterhin von ihrer eigentlichen Arbeit für die Bewältigung der Hochwasserlage freizustellen. Dieser Appell gelte für die kommenden Tage und notfalls auch in der nächsten Woche, hieß es in einer Mitteilung der Staatskanzlei von Mittwoch. Unternehmen hätten das Recht, sich die ihnen durch den Ausfall der Mitarbeiter entstehenden Schäden erstatten zu lassen. Das Land werde versuchen, hierfür einen pragmatischen Weg zu finden, hieß es.
Die Menschen an der schleswig-holsteinischen Ostseeküste müssen sich auf eine neue Sturmflut einstellen. Diese dürfte nach den Prognosen des Bundesamts für Seeschifffahrt und Hydrographie (BSH) von Dienstag aber deutlich schwächer ausfallen als jene im Oktober 2023. Die Hansestadt Lübeck warnte vor einer Hochwasser-Gefahr am Mittwoch in Teilen der Innenstadt und in Travemünde. Gemäß Vorhersage sollte der Pegel gegen 11 Uhr einen Höchststand von 1,05 Meter über Normalnull erreichen, wie die Stadt am Mittwoch mitteilte. Menschen sollten die betroffenen Bereiche in dieser Zeit meiden und mit ihren Autos nicht durch überflutete Straßen fahren. Autos sollten aus den betroffenen Bereichen rechtzeitig entfernt werden.
Für Mittwoch und Donnerstag erwartete der DWD Regenmengen zwischen 30 und 50 Litern pro Quadratmeter. Im Bergland – vor allem in Staulagen – könnten es auch 60 bis 120 Liter pro Quadratmeter innerhalb von 30 bis 60 Stunden sein.
"In der Nacht zum Donnerstag halten die Schauer landesweit an", heißt es in der Vorhersage vom Mittwoch. Tagsüber gibt es in den meisten Regionen vorübergehend Entspannung. "Nur in einem breiten Streifen vom Niederrhein über Thüringen hinweg bis zum Erzgebirge und dem Fichtelgebirge muss bis zum Abend mit weiteren Regenfällen gerechnet werden", so Meteorologin Julia Tuschy.
Am Donnerstag macht sich ein neues Tief namens "Brigitta" von der Bretagne aus auf den Weg Richtung Norddeutschland. "Es greift in der Nacht zum Freitag mit seinem Niederschlagsgebiet auf den Westen und Nordwesten Deutschlands über und erfasst im Laufe des Freitags die Nordhälfte", sagte die Meteorologin voraus.
In der zweiten Wochenhälfte sickert kalte Luft ein. Das hat zur Folge, dass die Niederschläge in Schnee übergehen – zunächst vor allem im Norden Schleswig-Holsteins. "Aufgrund der doch recht warmen Bodenbeläge dürfte sich verbreitete Glätte aber in Grenzen halten", sagte Tuschy. Während sich die kalte Luft ausbreitet, kann es im Norden einige Zentimeter Neuschnee geben.
Gegen Ende der Woche formiert sich ein weiteres Sturmtief, das laut DWD voraussichtlich den Namen "Charlotte" tragen wird. Die zugehörigen Niederschläge erfassen am Samstag den Alpenraum und Süddeutschland. Aufgrund der von Norden einsickernden Kaltluft sinkt auch in Süddeutschland die Schneefallgrenze. So fällt dort bis ins Flachland zunehmend Schnee. "Der Winter klopft zum Wochenende an die Tür", sagte Meteorologin Julia Tuschy.
Nach Einschätzung der Wetterkontor-Meteorologin Britta Siebert-Sperl lässt der Regen erst am Freitag im Tagesverlauf nach. "Bis Freitag müssen die Deiche noch einiges aushalten, die Hilfskräfte werden also noch entsprechend lange in Alarmbereitschaft stehen müssen", erklärte sie weiter.
Am Wochenende soll es laut Siebert-Sperl deutlich weniger Niederschläge geben. Einzelne Schauer "verlagern sich eher in Richtung Sachsen und Süddeutschland, wo es auch zu Schnee kommen kann", erklärte die Expertin.
Bezüglich der vielerorts angespannten Hochwasserlage dürfe zudem der Wind nicht vergessen werden, mahnte die Meteorologin. "Auch der Wind bereitet den Hilfskräften mit Sicherheit Probleme, weil er auf die Deiche drückt." Am Mittwoch werde "vor allem im Norden und Osten relativ heftig" Wind zu verzeichnen sein, der frisch bis stark und in Böen stürmisch über die betroffenen Regionen fegt. Am Freitag soll der Wind dann nachlassen.
Wie die Meteorologin erklärte, hängt der derzeit niederschlagsintensive Winter mit dem Jetstream zusammen, "der sich über Mitteleuropa verlagert hat und immer wieder Nachschub an Tiefdruckgebieten bringt". Das Starkwindband ist einer der zentralen Mechanismen hinter der Bewegung von atmosphärischen Regionen verschiedenen Luftdrucks – viele Forscher gehen davon aus, dass seine Aktivitäten sich durch den Klimawandel verändern.
Im Hochwassergebiet an der Landesgrenze von Sachsen-Anhalt und Thüringen wird die Schulpflicht in einigen Orten ausgesetzt. In Kelbra, Roßla und Wallhausen bleiben die Schulen am Donnerstag und Freitag geschlossen, teilte der Landkreis Mansfeld-Südharz am Dienstagabend mit. Eine Notbetreuung werde eingerichtet. In der Nacht trat in Thüringen die Leina im gleichnamigen Ort über die Ufer.
Die Pegelstände an Thüringer Flüssen stiegen in der Nacht zum Mittwoch wieder. Der Anstieg sei allerdings etwas niedriger ausgefallen als erwartet, teilte das Landesamt für Umwelt, Bergbau und Naturschutz (TLUBN) in Jena am Mittwoch mit. 14 Pegel unter anderem an Werra, Saale, Bere und Zorge hatten demnach die Vorwarnstufe (Meldebeginn) überschritten. Die erste Meldestufe galt für den Werra-Pegel in Ebenhards und den Unstrut-Pegel in Oldisleben.
Wegen des anhaltenden Regens bestand am Dienstagabend in Altenglan (Landkreis Kusel) in Rheinland-Pfalz akute Gefahr, dass ein Regenrückhaltebecken überläuft. Aktuell sei die Lage "im grünen Bereich", wie ein Feuerwehrsprecher am Mittwochmorgen sagte. Wegen des Regens steige der Wasserstand jedoch derzeit wieder. Am Dienstagabend war zunächst eine Evakuierung der Gebäude in einer Straße angekündigt worden. Die Anwohner könnten allerdings nun vorerst in ihren Häusern bleiben, sagte ein Sprecher der Deutschen Presse-Agentur.
In Niedersachsen war am Dienstag die Landes-Reserve von rund 1,9 Millionen Sandsäcken bis auf einen kleinen Rest aufgebraucht, wie der Landesbetrieb für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz (NLWKN) in der Nacht mitteilte. Das Bundesland greife inzwischen auch auf Reserven anderer Bundesländer zurück. Rund 1,5 Millionen Säcke habe Niedersachsen so inzwischen erhalten. Mit den Sandsäcken werden etwa Deiche verstärkt.
Das Technische Hilfswerk (THW) geht nach Angaben seiner Präsidentin Sabine Lackner davon aus, dass die Herausforderungen für die Katastrophenschutz-Organisation generell immer größer werden. Momentan sei das THW im Bevölkerungsschutz zwar gut aufgestellt und könne in der derzeitigen Hochwasserlage effiziente Hilfe an vielen Orten gleichzeitig leisten, sagte Lackner der "Rheinischen Post". "Dennoch führt uns die aktuelle Lage einmal mehr dramatisch vor Augen, dass die Herausforderungen an das THW immer größer werden, auch durch Extremwettereignisse, deren massive Auswirkungen wir derzeit in verschiedenen Regionen Deutschlands erleben."
Der Dauerregen ließ auch im Norden und Osten Bayerns viele Flüsse ansteigen und führte an einigen Orten auch zu Überschwemmungen. Wie der Hochwassernachrichtendienst (HND) des bayerischen Landesamtes für Umwelt (LfU) in Augsburg am Mittwoch mitteilte, haben mehrere Pegelstände in Ober- und Unterfranken Meldestufe 3 überschritten – so etwa die Lauer im Landkreis Bad Kissingen und die Steinach im Landkreis Coburg.
Auch der Fluss Regen bei Cham in der Oberpfalz hat Meldestufe 3 erreicht. Dabei können einzelne bebaute Grundstücke, Keller und Straßen überflutet werden.