
"Jetzt wird Ruben für alles büßen" - Armenischer Politiker in Baku in Haft: Ein Sohn kämpft für seinen Vater
Als es nach der Militäroffensive Aserbaidschans vom 19. und 20. September und der Besetzung Berg-Karabachs zum Massenexodus von über 100.000 Armenierinnen und Armeniern aus der Region kam, wurde Ruben Vardanyan von aserbaidschanischen Sicherheitskräften festgenommen, als er versuchte, über den Latschin-Korridor nach Armenien auszureisen.
Aserbaidschanische Quellen stellten Szenen der Verhaftung ins Netz, die sehr bald mit hämischen Kommentaren ("jetzt wird Ruben für alles büßen") versehen wurden. "Wir haben keine exakten Informationen darüber, wie es ihm geht", berichtetet sein Sohn David in einem Videointerview.
Seit Ruben Vardanyans Verhaftung hatte seine Frau Veronika viermal die Möglichkeit, kurz mit ihm zu telefonieren, sein Sohn David konnte bislang überhaupt nicht mit ihm sprechen. "Wir wissen nicht genau, wie es ihm geht, wir haben keinerlei Informationen über die Zustände im Gefängnis", sagt David Vardanyan, der nun für die Freilassung seines Vaters kämpft.
Neben Ruben Vardanyan wurden im Zuge der aserbaidschanischen Besetzung noch sieben weitere hochrangige Politiker der selbst ernannten Republik Berg-Karabach verhaftet und in ein Gefängnis nach Baku verbracht, um sie dort unter Anklage zu stellen. Darunter sind die drei ehemaligen Präsidenten der Republik Berg-Karabach, die sich zuletzt Republik Arzach nannte, Arayik Harutiunian, Bako Sahakian und Arkadi Ghukasian sowie der letzte Parlamentssprecher Davit Ishkhanian.
Das gleiche Schicksal droht dem ehemaligen Außenminister Davit Babayan, dem ehemaligen Armeechef Levon Mnatsakanian und seinem Stellvertreter Davit Manukian. Was man ihnen genau vorwirft, hat David Vardanyan auch nur den aserbaidschanischen Mitteilungen in Social-Media-Kanälen entnehmen können: Finanzierung von Terrorismus, die Bildung illegaler Militärorganisationen, illegaler Grenzübertritt.
"Ich denke, die meisten Menschen verstehen, dass das nicht die wahren Gründe der Inhaftierung sind", sagt David Vardanyan und verweist auf die Position der armenischen Regierung. Sie verurteilte die Verhaftungen auf das Schärfste und forderte die internationale Gemeinschaft auf, ihr zu helfen, eine Freilassung der Inhaftierten zu erreichen.
Das aserbaidschanische Außenministerium wies die Kritik zurück und erklärte, die Betroffenen würden wegen Förderung des Separatismus, der Organisation von "terroristischen Handlungen" und der Beteiligung an einer "Aggression gegen Aserbaidschan" vor Gericht gestellt werden, berichtete die Deutsch-Armenische Gesellschaft (DAG) auf ihrer Facebook-Seite. Was den Verhafteten droht, ist völlig unklar. David Vardanyan hat in inoffiziellen aserbaidschanischen Quellen gelesen, dass es um bis zu 14 Jahre Haft gehen könnte. Demnach könnten die Gerichtsprozesse im Januar beginnen.
Neben den acht politischen Gefangenen sind nach armenischen Informationen weitere 45 Armenier in aserbaidschanischer Haft, darunter Soldaten der Republik Arzach und Zivilisten. "Es könnten auch mehr sein", sagt Vardanyan, "aber die offizielle Zahl ist 53. "Es gibt auch Gefangene, die keine hochrangigen Beamten sind. Die Gefangennahme dieser Personen wurde bestätigt", sagte Argishti Kyaramian, der Leiter des armenischen Ermittlungsausschusses, Reportern laut DAG.
Mit Blick auf den Westen sagt Vardanyan, dass eine starke kollektive Stimme nötig sei, um die Rechte der mehr als 100.000 aus Berg-Karabach geflohenen Armenierinnen und Armenier zu sichern, die Freilassung der Gefangenen zu fordern und einen Friedensprozess einzuleiten. "Der Westen muss den Druck auf Aserbaidschan erhöhen, damit das geschieht", fordert der junge Mann, der derzeit in Singapur lebt und dessen Frau bald ein Kind erwartet.
Vardanyan sieht den Westen durchaus in einer starken Position mit der Macht, "eine friedliche Koexistenz in die Region" zu bringen. "Mein Vater hat immer gesagt, Armenien und Aserbaidschan werden für immer Nachbarn sein. Und der einzige Weg, um vernünftig nebeneinander zu leben, ist eine friedliche Diskussion. Und das erste Zeichen dafür wäre die Freilassung der 53 Gefangenen."
Zu den Vorwürfen von aserbaidschanischer Seite, sein Vater sei ein in Russland reich gewordener Oligarch, der heute noch das Geschäft des Kremls betreibe, kann sein Sohn David nur müde lächeln: "Mein Vater ist nach Berg-Karabach gegangen, um sich dort für seine armenischen Landsleute zu engagieren. In den drei Monaten seiner Amtszeit hat er so viel internationale Publicity für die Sache der Armenier gemacht wie kaum ein zweiter Politiker."
Die vor dem Massenexodus im September mehrheitlich von Armenierinnen und Armeniern bewohnte Region Berg-Karabach (Arzach) gehörte völkerrechtlich immer zu Aserbaidschan, hatte sich aber zu Beginn der 1990er-Jahre als eigenständige Republik abgespalten, was international nie anerkannt worden war.
Ruben Vardanyan wurde 1968 in Eriwan (damals Sowjetunion) geboren, studierte Wirtschaft in Moskau und machte nach 1990 ein Vermögen im Investmentbanking in Russland, bevor er 2022 in die selbst ernannte Republik Berg-Karabach zog. Er legte die russische Staatsbürgerschaft ab und nahm die armenische an, um sich voll für die armenische Sache zu engagieren, wie er selbst sagte.
Seine Frau Veronika Zonabend, die jüdische Wurzeln hat, sagte in einem Interview mit dem "Guardian": "Ruben stand dem Volk von Arzach während der zehnmonatigen Blockade zur Seite und litt mit ihm im Kampf ums Überleben. Ich bitte um Ihre Gebete und Ihre Unterstützung, um die sichere Freilassung meines Mannes zu gewährleisten."
Während der aserbaidschanischen Blockade von Berg-Karabach ab Dezember 2022 hatte Vardanyan unter anderem im Interview mit dem RND eine Hilfsaktion nach dem Vorbild der Berliner Luftbrücke 1948/1949 gefordert, um die eingeschlossenen Armenierinnen und Armenier mit Lebensmitteln, Medikamenten und Treibstoff zu versorgen.
Diese wie auch andere angedachte Hilfsaktionen scheiterten; in einer Blitzaktion eroberten aserbaidschanische Truppen am 19. und 20. September 2023 die Region militärisch zurück. Danach flohen etwa 100.000 Menschen aus Berg-Karabach nach Armenien und ließen in der Region zumeist ihr gesamtes Hab und Gut zurück. Baku hat nach Medienberichten damit begonnen, aserbaidschanische Staatsbürgerinnen und Staatsbürger dort anzusiedeln.