
Muss der Pestizideinsatz in der EU bald halbiert werden?
Um das Insektensterben und den Verlust der Artenvielfalt und ganzer Ökosysteme aufzuhalten, will das EU-Parlament an diesem Mittwoch über eine Reduzierung des Pestizideinsatzes abstimmen. Die Pläne sehen vor, dass Landwirte bis 2030 die Verwendung chemischer Spritzmittel um mindestens 50 Prozent senken müssen. Der Einsatz besonders gefährlicher Pestizide soll sogar um 65 Prozent reduziert werden. Erlaubt sind weiter Spritzmittel, die für die ökologische Landwirtschaft zugelassen sind. Zudem sollen Landwirte unabhängige Beratung und finanzielle Unterstützung erhalten.
Die Politiker sind sich weitgehend einig, dass der Pestizideinsatz in Europa reduziert werden muss. Allerdings sagen Kritiker der Pläne, dass die Landwirte derzeit nicht genügend Alternativen zu den besonders giftigen Chemikalien hätten. Sie fordern daher, den Pestizideinsatz erst 2035 zu halbieren. Ihre Befürchtung ist, dass sonst die Versorgung mit ausreichend Lebensmitteln nicht möglich sei.
"Nun ist die Zeit, mit einer echten Reduktion anzufangen", sagte Sarah Wiener (Grünen-Fraktion) am Dienstag. Sie verwies auf die Verantwortung für die nachfolgenden Generationen. Aus ihrer Sicht sei die Lebensmittelsicherheit nicht durch zu wenig, sondern durch zu viel Pestizide in Gefahr, da dies die Biodiversität langfristig einschränke. "Heute noch einmal alles und morgen dann gar nichts, ist keine Lösung." Wiener betonte zudem, dass Pestizide mehr kosten, als sie an Profit bringen. "Sie sind ökonomischer Unsinn."
Für heftige Diskussionen sorgt im Parlament die Absicht, in Schutzgebieten und innerhalb einer fünf Meter breiten Pufferzone chemische Pestizide vollständig zu verbieten. Konkret bedeutet dies, dass auch auf allen städtischen Grünflächen, Parks, Spielplätzen, öffentlichen Wegen und in Naherholungsgebieten keine Pestizide verwendet werden dürfen.
Der Vorsitzende des EU-Agrarausschusses, Norbert Lins , fordert die Verschiebung auf 2035. Die Pläne des Umweltausschusses kämen einem "Berufsverbot" für Landwirte gleich, vor allem in Deutschland. Zuerst soll geprüft werden, ob eine Tierart in einem Schutzgebiet durch ein bestimmtes Pestizid tatsächlich gefährdet sei.
In Deutschland sind etwa 15 Prozent der Fläche Schutzgebiete. Während Umweltschutzverbände die Pläne begrüßen, warnt der Bauernverband: "In den sogenannten sensiblen Gebieten wäre diese Verordnung das faktische Aus für den Obst-, Gemüse- und Weinbau sowie für den klassischen Ackerbau."
Zuvor hatten mehr als 6000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler einen gemeinsamen Aufruf zur Reform der EU-Pflanzenschutzmittelverordnung unterzeichnet, die ihrer Ansicht nach einen entscheidenden Beitrag dazu leisten kann, das Insektensterben aufzuhalten und die Lebensmittelversorgung in Europa langfristig zu sichern. Die geplanten Maßnahmen gelten als wichtiges Instrument, um die europäische Landwirtschaft naturverträglicher zu gestalten.