
Xis inszenierte Fassade: China im Jahr des Drachen vor schweren Herausforderungen
Und auch die Wiedervereinigung mit Taiwan sei als "historische Unvermeidlichkeit" nur mehr eine Frage der Zeit. Alles auf Kurs also, wenn man den Worten des 70-jährigen Parteivorsitzenden folgt. Doch die im Staatsfernsehen inszenierte Fassade hat wenig mit der Realität zu tun. Das Jahr des blauen Drachen dürfte für Xi nämlich weniger Erfolg und Reichtum bringen, wie es der traditionelle Tierkreiskalender propagiert, sondern vor allem von tiefgreifenden Herausforderungen und Unsicherheiten geprägt sein.
Wirtschaftlich gibt es weiterhin wenig Anzeichen, dass die bisher ausgebliebene Post-Covid-Erholung nun endlich eintritt. Der aktuelle Einkaufsmanagerindex blieb hinter den Erwartungen zurück, und fürs Gesamtjahr rangieren die Wachstumsprognosen der meisten Ökonomen zwischen 4 und 5 Prozent. Das mag zwar durchaus solide klingen, doch ist gemessen am chinesischen Entwicklungsstadium zu niedrig, um etwa die rekordhohe Jugendarbeitslosigkeit in den Griff zu bekommen.
Vor allem wird über ein Jahr nach Pekings turbulenten Ausstieg aus der "Null Covid"-Politik immer deutlicher, dass die Volkswirtschaft nicht mehr an die "fetten Jahre" vor der Pandemie anknüpfen kann. Denn mittelfristig drückt die weiterhin schwelende Immobilienkrise auf das Potenzial der Volkswirtschaft. Und langfristig wird die fortschreitende Alterung die Wachstumsmöglichkeiten beschränken. Hinzu kommt eine Regierung, deren Fokus zunehmend auf nationale Sicherheit und ideologische Kontrolle liegt.
Gleichzeitig holt die Nachbarregion im Vergleich deutlich auf. "Das Wachstum der chinesischen Wirtschaft blieb hinter den hohen Erwartungen zurück", argumentiert Alicia Garcia Herrero, Chefökonomin der Natixis-Bank für den Raum Asien-Pazifik: "Gleichzeitig entwickelte sich das restliche Asien viel besser als erwartet – ungeachtet der immer stärkeren Verflechtung mit China." Für westliche Unternehmen haben die geopolitischen Risiken und das sich verschlechternde Marktumfeld längst dazu geführt, dass man künftige Investitionen stärker nach Vietnam und vor allem Indien verlagert. Dieser Trend dürfte sich auch im Jahr des Drachen weiter fortsetzen.
Außenpolitisch dürfte 2024 für Xi Jinping ebenfalls ein paar bittere Pillen bereithalten. Bereits am 13. Januar wählen die Taiwaner und Taiwanerinnen einen neuen Präsidenten, der wohl aller Voraussicht nach den Peking-kritischen Kurs der amtierenden Tsai Ing-wen weiter fortführen dürfte. Der 67-Jährigen ist es in den letzten Jahren gelungen, die politischen und zivilgesellschaftlichen Beziehungen des demokratischen Taiwan weiter mit dem Westen zu verknüpfen – sehr zum Ärger der chinesischen Führung, die dahinter das Kalkül vermutet, Taiwan könnte mit Rückendeckung der USA schon bald seine Unabhängigkeit erklären.
Sollte im November zusätzlich Donald Trump ins Weiße Haus gewählt werden, würde dies in Peking für weitere Katerstimmung sorgen. Zwar gibt man sich keinerlei Illusionen hin, dass ein demokratischer US-Präsident eine softere China-Politik verfolgen könnte. Doch während Joe Biden sich an Konventionen hält, stellt der erratische Trump ein schwer zu kalkulierendes Risiko dar. Und nichts verabscheut die auf Stabilität bedachte chinesische Staatsführung stärker als Risiko.
Doch auch im Inneren haben sich die Wagnisse erhöht. Xi mag zwar weiter fest im Amt sitzen, aber in seinem erweiterten Führungszirkel hat es in den letzten Monaten heftig rumort. So hat der 70-Jährige im letzten Jahr nicht nur seinen Außenminister und Verteidigungsminister geschasst, sondern auch im Militär mehrere hochrangige Beamte ausgetauscht. Vieles deutet auf Korruption und Machtmissbrauch hin, doch die genauen Hintergründe bleiben weiterhin im Verborgenen.
Jene Intransparenz sorgt für ein Klima der Unsicherheit und Einschüchterung, was einen mutigen Reformkurs deutlich erschwert. Und die Gefahr, dass Xi, der sich nur mehr mit Jasagern umgibt, schwere politische Fehler begehen könnte, steigt mit jedem weiteren Jahr, welches er im Amt bleibt. Das dogmatische Festhalten an der "Null Covid"-Strategie trotz desaströser Lockdowns lieferte dafür ein eindrückliches Beispiel.
Doch die größte Fallhöhe hat eindeutig der Taiwan-Konflikt. Noch sind sich die meisten Experten einig, dass eine großflächige Invasion der Volksbefreiungsarmee derzeit unwahrscheinlich ist. Sehr wohl jedoch erhöht das Militär seit Jahren bereits Schritt für Schritt den Druck auf die Insel, indem es mit Flugmissionen und simulierten Inselblockaden die 23 Millionen Taiwanerinnen und Taiwaner psychologisch mürbe machen möchte.