
Orban schimpft in Berlin: Deutschland hat seinen Geschmack verloren
Deutschland sieht heute nicht mehr so aus wie vor zehn Jahren. Es schmeckt nicht mehr wie früher, es riecht nicht mehr wie früher, dieses ganze Deutschland ist nicht mehr das Deutschland, das unsere Großeltern und Eltern uns als Beispiel genannt haben, sagte Orbán. Früher hätten ältere Generationen ihren Kindern geraten, nach Deutschland zu gehen, wenn sie fleißige und gut organisierte Arbeit sehen wollten. Nun sei Deutschland hingegen eine bunte, veränderte multikulturelle Welt, fügte der rechtspopulistische Regierungschef hinzu.
Orbán kritisierte insbesondere, dass Migranten in Deutschland nicht länger als Gäste betrachtet würden. Er warf den linksgerichteten Regierungen vor, im Schnellverfahren Staatsbürgerschaften zu gewähren, was zu einer dauerhaften Veränderung der deutschen Gesellschaft führe. Es geht nicht länger darum, dass die Deutschen Migranten aufnehmen würden, sondern dass diese durch die Staatsbürgerschaft Teil der deutschen Nationalität werden. Es ist jetzt auch ihr Land. Es wird sogar immer mehr zu ihrem Land. Das ist es, was ich sehe, so Orbán.
Er warnte vor den möglichen Auswirkungen dieser Entwicklungen und sprach von einem spezifischen kulturellen Milieu, das nun in Deutschland entstanden sei. Im Gegensatz zu Deutschland habe er 2015 die Entscheidung getroffen, in Ungarn keine Flüchtlinge willkommen zu heißen, sagte Orbán mit Verweis auf die Flüchtlingskrise und die Politik der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU).
Es gibt Fehler in der Politik, die korrigiert werden können, sei es in der Außenpolitik oder in Wirtschaftsfragen. Wenn die Politik aber in der Migrationspolitik scheitert, kann man es nicht mehr rückgängig machen, erklärte Orbán. Deshalb habe er seinen Landsleuten immer geraten, und ich bitte sie auch heute noch, Nein zur Migration zu sagen, diesem Druck nicht nachzugeben, Widerstand zu leisten, unser Land als Insel des Friedens zu bewahren.
Der ungarische Premierminister traf am Freitagnachmittag Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) in Berlin. Anlass des Treffens war die turnusgemäße Übernahme des EU-Ratsvorsitzes durch Ungarn am 1. Juli. Eine Begegnung mit der Presse war nicht geplant, doch Orbáns Äußerungen werfen einen Schatten auf die Beziehungen zwischen Deutschland und Ungarn.
Orbán steht seit Jahren wegen seiner autoritären Regierungsführung und der Aushöhlung demokratischer Institutionen in Ungarn in der Kritik. Insbesondere seine strikte Migrationspolitik und seine Haltung gegenüber der EU und der Unterstützung der Ukraine haben zu Spannungen mit Brüssel geführt. In diesem Kontext sind seine jüngsten Äußerungen ein weiterer Beleg für die tiefen Gräben in der europäischen Politiklandschaft.