
Erdogan-Besuch in Berlin: Der Eklat blieb aus
Befürchtet wurde, dass es zu einem Eklat kommen könnte, dass Erdogan Israel auf deutschem Boden so heftig angreift, dass Scholz gar keine Wahl bleibt, als dem Gast seine Grenzen aufzuzeigen. Die Stimmung zwischen Erdogan und Scholz wirkt an diesem Abend nicht herzlich, für solche Emotionen sind beide aber auch nicht bekannt. Eine offene Konfrontation bleibt jedenfalls aus, und das kann im oftmals schwierigen deutsch-türkischen Verhältnis fast schon als Erfolg zählen.
Scholz spricht die Differenzen im Gaza-Krieg unverblümt an: "Herr Präsident, dass wir zu dem Konflikt sehr unterschiedliche Sichtweisen haben, ist ja kein Geheimnis", sagt der Kanzler. "Gerade deshalb sind unsere Gespräche wichtig, gerade in schwierigen Augenblicken brauchen wir das direkte Gespräch untereinander." Mehrfach unterstreicht Scholz die deutsche Position. "Lassen Sie mich ganz klar sagen: Das Existenzrecht Israels ist für uns unumstößlich. Und lassen Sie mich genauso klar sagen: In unserem Land ist kein Platz für Antisemitismus."
Erdogan betont, dass er sich in der Türkei gegen Antisemitismus eingesetzt habe. Er spricht sich dafür aus, dass sich Deutschland gemeinsam mit der Türkei und anderen Ländern für eine humanitäre Waffenruhe im Gaza-Streifen engagiert. Zugleich wirft Erdogan Israel vor, Tausende Zivilisten zu töten, Krankenhäuser und Gebetshäuser anzugreifen. Scholz wendet ein, dass die Hamas die eigene Bevölkerung als Schutzschilde missbrauche und dass Israel ein Recht auf Selbstverteidigung habe.
Gastgeber Scholz bemüht sich beim Auftritt mit dem schwierigen Gast, Positives zu betonen. Der Kanzler lobt Erdogans Vermittlerrolle beim Getreideabkommen zwischen der Ukraine und Russland. Scholz sagt: "In den vergangenen Jahren sind wir in den Beziehungen zwischen der EU und der Türkei hinter unseren Möglichkeiten, hinter unserem Potenzial zurückgeblieben." Der Kanzler betont, er setze sich für eine Wiederbelebung des Flüchtlingspakts der EU mit der Türkei ein.
Zudem macht Scholz sich beim türkischen Präsidenten für eine verstärkte Rückführung von abgelehnten Asylbewerbern in die Türkei stark. Der Kanzler habe betont, dass es dafür "einen belastbaren Mechanismus" geben müsse, hieß es am Freitagabend nach dem etwa zweistündigen Abendessen im Kanzleramt aus deutschen Regierungskreisen. Eine gemeinsame Arbeitsgruppe solle nun bald Ergebnisse dazu vorlegen.
Erdogan fordert seinerseits eine Wiederbelebung des EU-Beitrittsprozesses. Und er verlangt von Deutschland freizügigere Exporte von Rüstungsgütern in sein Land. Kurz vor dem Besuch hat die türkische Regierung die Absicht kundgetan, 40 Eurofighter zu kaufen – dafür braucht sie die Zustimmung Deutschlands.
Deutschland und die Türkei sind untrennbar miteinander verbunden, das machen auch Scholz und Erdogan klar. Rund drei Millionen Menschen mit türkischem Hintergrund leben in Deutschland, unter Teilen von ihnen genießt Erdogan große Sympathien. Deutschland ist wichtigster Handelspartner und einer der größten ausländischen Investoren in der Türkei.
Bei allen Unterschieden sind sich Scholz und Erdogan selbst im Gaza-Krieg in einigen grundsätzlichen Punkten einig – zum Beispiel bei ihrer Sorge, dass sich der regionale Konflikt zum Flächenbrand ausweiten könnte. Einig sind sie sich auch in ihrer Forderung nach einer Zwei-Staaten-Regelung. Der türkische Präsident sagt laut Übersetzer, Ziel müsse sein, dass Israelis und Palästinenser "Seite an Seite in Frieden und Sicherheit leben können".
Scholz klingt ganz ähnlich: "Denn es bleibt ja alles dafür zu tun, dass es eine gute Perspektive gibt mit Israel und einem palästinensischen Staat, friedlich nebeneinander", sagt er. "Das ist die Zwei-Staaten-Lösung, die Deutschland, die Europäische Union, aber auch viele andere ja schon lange vertreten, und die muss die Perspektive der Zukunft sein."