
Israel stimmt Feuerpause und Austausch von Geiseln gegen Häftlinge zu
Die Hamas soll dem Deal zufolge 50 Frauen und Minderjährige unter den rund 240 Geiseln freilassen, die beim Terrorangriff am 7. Oktober aus Israel verschleppt wurden. Im Gegenzug soll eine nach Angaben Katars noch unbestimmte Zahl an weiblichen und minderjährigen Gefangenen aus israelischen Gefängnissen entlassen werden. Laut Hamas handelt es sich um 150 Häftlinge, die freikommen sollen.
Einem Bericht der "Times of Israel" zufolge sollen die freizulassenden palästinensischen Häftlinge in die jeweilige Stadt oder Ortschaft zurückkehren, "in der sie vor ihrer Inhaftierung lebten, einschließlich im Westjordanland und in Ost-Jerusalem". Bei den freizulassenden Geiseln soll es sich israelischen Medien zufolge um 30 Kinder, acht Mütter sowie zwölf ältere Frauen handeln.
Die Feuerpause könnte nach Angaben Katars verlängert werden. Für jeden zusätzlichen Tag müsste die Hamas der israelischen Regierung zufolge zehn weitere Geiseln freilassen. Israel geht davon aus, dass so insgesamt 80 Geiseln freikommen könnten. Regierungschef Netanjahu betonte jedoch, dass der Krieg auch nach der Umsetzung des Abkommens fortgeführt werde, "bis wir alle unsere Ziele erreicht haben".
Israels Regierung hatte der mehrtägigen Feuerpause in der Nacht zu Mittwoch im Gegenzug für die Freilassung von israelischen Geiseln zugestimmt. Das israelische Kabinett billigte die entsprechende Vereinbarung mit der Hamas, wie ein Regierungssprecher bestätigte. Die Hamas hatte erklärt, ihre Zustimmung an die Vermittler in Ägypten und Katar übermittelt zu haben. Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zufolge soll das Rote Kreuz zudem Zugang zu den restlichen Geiseln bekommen.
In Israel wird erwartet, dass die schrittweise Freilassung der 50 Geiseln bereits am Donnerstag beginnen könnte. An jedem Tag der Kampfpause sollen Medienberichten zufolge zwischen 10 und 13 Geiseln frei kommen. Über sechs Stunden täglich soll demnach die Luftüberwachung des Militärs über dem Gazastreifen eingestellt werden.
Die Vereinbarung ist ein möglicher Lichtblick im seit sechs Wochen anhaltenden Gaza-Krieg. Sie gibt ein wenig Hoffnung für einige der Geiseln, die Hamas-Terroristen bei ihrem verheerenden Überraschungsangriff am 7. Oktober verschleppt hatten. Und sie könnte der notleidenden Zivilbevölkerung im Gazastreifen zumindest einige Tage ohne Kampfhandlungen verschaffen. Im Gazastreifen wurden seit Kriegsbeginn nach Angaben der Hamas bislang mehr als 13.000 Menschen getötet, der UN zufolge wurden 1,7 Millionen Menschen durch Kämpfe vertrieben.
Katar sowie Ägypten hatten in Absprache mit den USA in den vergangenen Wochen zwischen Israel und der Hamas vermittelt. Vor allem Katar hat sehr gute Kontakte zur Hamas, in dem Emirat am Golf lebt auch die Hamas-Führungsspitze. Katars Ministerpräsident und Außenminister Mohammed bin Abdulrahman Al Thani hatte erst am Sonntag gesagt, die Hürden vor einem Deal seien nur noch sehr niedrig und die offenen "Knackpunkte eher praktisch und logistisch".
Laut der Israel-Direktorin der Konrad-Adenauer-Stiftung, Beatrice Gorawantschy, wird die Gefahr, dass sich die Hamas in der Kampfpause neu organisiert, in Israel als sehr groß eingeschätzt. Angesichts dieser Gefahr habe Israel versucht, die Kampfpause hinauszuzögern, sagte sie dem RND.
Dass es nun zu einer Einigung im Geisel-Deal gekommen ist, liegt maßgeblich am Druck auf Regierungschef Netanjahu. Dem Israel-Experten Peter Lintl zufolge musste dieser den Rufen der Geiselangehörigen nachgeben und dem Eindruck etwas entgegensetzen, die Regierung würde die verschleppten Israelis im Stich lassen. Seit Wochen gibt es Proteste der Angehörigen, die der Regierung vorwerfen, sich nicht ausreichend für die Freilassung der Geiseln einzusetzen. Gleichzeitig reagiert Netanjahu auf die anhaltenden internationalen Forderungen nach mehr humanitärer Hilfe für den Gazastreifen.
Die Geiseln werden bei einer Freilassung voraussichtlich nicht direkt Israel, sondern am ägyptischen Grenzübergang Rafah dem Internationalen Roten Kreuz übergeben. Eine Einigung könnte Vorbild für weitere Verhandlungen und Gefangenenaustausche sein. Allerdings wertet Israel die Hamas durch die Verhandlungen auf, räumt Experte Lintl ein und spricht von einem Dilemma. Denn solange die Hamas israelische Geiseln habe, bleibe Israel keine Wahl.
Ein echter Erfolg sei der Deal für keine der beiden Seiten. Die Einigung mache aber deutlich, dass die Hamas durch die Geiseln eine große Verhandlungsmacht besitze, sagt Lintl. Dagegen könne Israel mit dem Deal zeigen, dass es nach sechs Wochen Krieg in der Lage sei, eine größere Zahl Geiseln zurückzuholen.
Die angekündigte Feuerpause und Freilassung von Geiseln im Gazastreifen ist nach Auffassung von Bundesaußenministerin Annalena Baerbock ein Durchbruch."Die angekündigte Freilassung einer ersten größeren Gruppe von Geiseln ist ein Durchbruch - auch wenn nichts auf der Welt ihr Leid ungeschehen machen kann. Die humanitäre Pause muss genutzt werden, um lebensnotwendige Hilfe zu den Menschen in Gaza zu bringen", schrieb die Grünen-Politikerin am Mittwochmorgen auf X (vormals Twitter).
Für einen Gefangenenaustausch ist seit einer Gesetzesänderung von 2014 das Ja des gesamten Kabinetts notwendig. Demnach ist eine vorzeitige Entlassung von Gefangenen nur unter strengen Bedingungen möglich, etwa wenn sie der nationalen Sicherheit dient oder Teil einer außenpolitischen Vereinbarung ist.
Am 7. Oktober hatte die Hamas etwa 240 Menschen aus Israel verschleppt. 210 von ihnen sollen sich noch in den Händen der Hamas befinden. Die israelische Armee hatte eine Großoffensive gegen Ziele der Terrorgruppe im Gazastreifen begonnen und weite Teile des Nordens eingenommen. "Oberirdisch wird der Norden des Gazastreifens beinahe vollständig von Israel kontrolliert, der Untergrund aber noch nicht", so Lintl. Die Hamas habe bereits bis zu 3000 Kämpfer verloren, ihre Tunnel seien aber weitgehend unberührt geblieben. Ob sich verbündete Hamas-Gruppen in Gaza, wie der Islamische Dschihad, ebenfalls an die Kampfpause halten, ist laut Lintl völlig unklar.
Von den etwa 240 Verschleppten wurden seit Kriegsbeginn bislang vier weibliche Geiseln von der Hamas freigelassen. Eine junge Soldatin konnte vom Militär befreit werden. Die Armee fand zudem die Leichen zweier Frauen. Unter den Entführten sind zahlreiche Ausländer und Doppelstaatsbürger, darunter mehrere Deutsche. Wie viele noch am Leben sind, ist unklar.
Oberstleutnant Christoph Göd vom österreichischen Bundesheer sieht eine Kampfpause als "großen Vorteil" für die Hamas. Die Terrororganisation könne sich dadurch "logistisch regenerieren, sich neu abstimmen und die Positionen der israelischen Soldaten leichter aufklären", sagte der Experte dem (RND). Wie stark die Hamas von der Pause profitieren kann, hänge letztlich von den räumlichen und zeitlichen Bedingungen des Deals ab. Auch für Israel hätte eine Unterbrechung der Kampfhandlungen den Vorteil, dass sich die Soldaten kurz erholen und besser versorgt werden könnten.
US-Präsident Joe Biden begrüßte die Vereinbarung zwischen Israel und der Hamas und pochte auf die Einhaltung der Abmachung. "Es ist wichtig, dass alle Aspekte dieses Abkommens vollständig umgesetzt werden", teilte Biden am Dienstagabend (Ortszeit) mit. Er wisse die Zusage zu schätzen, die die israelische Regierung mit der Unterstützung einer verlängerten Feuerpause gemacht habe, damit die Vereinbarung vollständig umgesetzt werden könne. So könne nun zusätzliche humanitäre Hilfe geleistet werde, "um das Leid unschuldiger palästinensischer Familien im Gazastreifen zu lindern".
Biden bedanke sich bei Ägyptens Präsident Abdel Fattah al-Sisi und dem katarischen Emir Tamim bin Hamad Al Thani für "ihre entscheidende Führungsrolle und ihre Partnerschaft beim Zustandekommen dieser Vereinbarung". Diese dürfte nun weitere amerikanische Geiseln nach Hause bringen, so Biden. Sie sei "ein Beweis für die unermüdliche Diplomatie" und die Entschlossenheit der US-Regierung. "Für mich als Präsident gibt es keine höhere Priorität als die Sicherheit der Amerikaner, die auf der ganzen Welt als Geiseln gehalten werden."