
Kampf gegen Rechts-extremismus mit Dialog und breiten Bündnissen
Allein am vergangenen Wochenende waren deutschlandweit mehr als 900 000 Menschen auf die Straße gegangen. Die Demo in München wurde sogar wegen Überfüllung abgebrochen. Für die Politikwissenschaftlerin Ursula Münch ein wichtiges Zeichen. Aber: "Das reicht nicht". Zumal die Proteste aus ihrer Sicht kein Dauerzustand sein werden. "Ich gehe davon aus, dass solche Proteste recht schnell abflachen. Gerade Menschen aus einem moderaten Lager, die ihren Unmut gegen die Deportationsideologie zum Ausdruck bringen wollten, lassen sich nicht alle drei Wochen mobilisieren."
Um den Schwung zu nutzen, will Münchens Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) den Kampf gegen Rechts-extremismus auf eine breite Basis stellen. Er wolle verschiedene Gruppierungen der Stadtgesellschaft zeitnah zum Dialog ins Rathaus einladen, sagte er am Mittwoch. Ziel dieses Austauschs solle es sein, die wehrhafte Stimmung aufzunehmen, Zivilgesellschaft und Politik zusammenzubringen und das große Engagement weiterzutragen, das sich in einer beeindruckenden Teilnahme von mehr als 200 000 Menschen an der Großdemonstration am Sonntag in München gezeigt habe.
Einladen will Reiter unter anderem Religionsgemeinschaften, Vereine, Jugendorganisationen, Gewerkschaften und große Unternehmen, ebenso Vertreterinnen und Vertreter der Kultur, der Wissenschaft und der Zivilgesellschaft. Ob als Ergebnis eine weitere Großdemonstration geplant wird, ist nach Angaben der Stadt noch offen.
Das Bayerische Bündnis für Toleranz begrüßt das Vorhaben: "Wir sind jetzt auch in Gesprächen, wo wir in den nächsten Wochen gemeinsam mit anderen gesellschaftlich relevanten Organisationen Zeichen für den Respekt und die Menschenwürde setzen können", sagte der evangelische Landesbischof Christian Kopp als Bündnissprecher. Die Münchner Demo am Sonntag nannte er ein starkes Zeichen. "Manche der Redebeiträge waren schwierig, so wurden sie aber auch von den Besucherinnen und Besuchern kommentiert, die um mich herum standen", erklärte er.
Bei der Demo war die Politik der Ampel-Regierung als "rechts" bezeichnet worden. "Es gibt Kräfte deutlich links der Mitte, die schnell dabei sind, alles, was ihnen nicht gefällt, in eine rechte Ecke zu stellen. Man kennt das in Bezug auf CDU und CSU. Dass man das jetzt sogar mit den Ampel-Parteien macht, finde ich bizarr", sagte Münch der "SZ". Damit hätten sich die Organisatoren keinen Gefallen getan. Es gehe nicht darum, die Republik vor Sozialdemokraten, Liberalen und Grünen zu schützen, sondern darum, sich klar zu unterscheiden von den wirklich rechts-extremen Positionen. "Wenn man alles, was einem nicht passt, in eine Schublade steckt, wertet man die seriösen Parteien ab, egal ob links oder rechts. Und es brüskiert auch diejenigen, die an so einer Versammlung teilnehmen."
Die Organisation Fridays for Future, die zu den Mitveranstaltern gehörte, erklärte, es sei selbstverständlich, nicht nur Parteien und Gruppierungen zu kritisieren, die den rechten Rand bildeten. Man nehme alle gesellschaftlichen und parlamentarischen Akteure in die Verantwortung, "sich mit allem, was sie haben, gegen den Rechtsruck und den erstarkenden Rechtspopulismus zu stemmen und ihm keinen Vorschub zu leisten".
Auslöser für die Proteste waren Enthüllungen des Recherchezentrums Correctiv über ein Treffen radikaler Rechter am 25. November in Potsdam, an dem einige AfD-Politiker sowie einzelne Mitglieder der CDU und der sehr konservativen Werteunion teilgenommen hatten. Der frühere Kopf der rechts-extremen Identitären Bewegung in Österreich, Martin Sellner, hatte bei dem Treffen nach eigenen Angaben über "Remigration" gesprochen. Wenn Rechts-extremisten den Begriff verwenden, meinen sie in der Regel, dass eine große Zahl von Menschen ausländischer Herkunft das Land verlassen soll - auch unter Zwang.