
Schlägt Israel jetzt hart zurück?
Der Experte Eldad Schavit von dem israelischen Institut für Nationale Sicherheit (INSS) sagte am Sonntag: "US-Präsident Biden bevorzugt eine koordinierte diplomatische Reaktion der G7-Führer gegen den Iran und hat Regierungschef Benjamin Netanjahu klargemacht, dass die USA an Israels Seite stehen, aber gegen eine Gegenattacke sind und an einer solchen sicherlich nicht teilnehmen würden."
Die rechtsextremen Partner Netanjahus, von denen sein politisches Überleben abhängt, fordern dagegen eine harte Antwort auf den Angriff. "Die Verteidigung ist bisher beeindruckend - jetzt brauchen wir eine vernichtende Attacke", schrieb Polizeiminister Itamar Ben-Gvir bei X, vormals Twitter. Es gibt allerdings auch moderatere Israelis, die einen Gegenschlag als notwendig ansehen, um die seit dem Terroranschlag vom 7. Oktober geschwächte Abschreckung Israels in der Region wiederherzustellen.
In den vergangenen Monaten nach Beginn des Gaza-Kriegs hat sich der Jahrzehnte alte Konflikt zwischen Israel und der Islamischen Republik Iran dramatisch zugespitzt. Der jüdische Staat sieht sich nach Angriffen von Milizen, die mit dem Iran verbündet sind, an mehreren Fronten unter Beschuss. Seit der Revolution von 1979 gelten die USA und Israel als Erzfeinde der Islamischen Republik. Netanjahu bezeichnete den Iran in der Vergangenheit ebenfalls als "wichtigsten Feind".
"Wir stehen offen gesagt am Rande eines gefährlichen Abgrunds", sagte die Nahost-Expertin Maha Yahya von der Denkfabrik Carnegie dem Sender CNN. "Vieles hängt davon ab, wie Israel reagiert und ob es einen Gegenschlag, einen weiteren Angriff auf iranisches Territorium, durchführen wird." Ihrer Einschätzung nach war sich der Iran bewusst, dass ein Großteil der Raketen abgefangen werden würde. Der Angriff sei nur ein Tropfen auf den heißen Stein "im Vergleich zu dem, was wirklich passieren könnte, wenn die Situation zu einem umfassenden regionalen Krieg eskaliert", sagte die Expertin.
Der israelische Militärsprecher Daniel Hagari hat die Idee, der Angriff des Irans auf Israel könnte eine Art geplanter Show ohne echte Schadensabsicht gewesen sein, vehement zurückgewiesen. "Ich glaube, der Iran wollte Ergebnisse erzielen, und dies ist ihm nicht gelungen", sagte Hagari am Sonntag. Israel habe in der Abwehr militärische Überlegenheit gezeigt. Er sprach von einem "sehr bedeutsamen strategischen Erfolg".
Mit Sorge blicken israelische Politiker seit Jahren auf bedrohliche Töne der Staatsführung in Teheran, die dem jüdischen Staat das Existenzrecht abspricht. Erst kurz vor dem Überfall der Hamas vor sechs Monaten hatte Irans Staatsoberhaupt Ajatollah Ali Chamenei alte Drohungen gegen Israel bekräftigt und den Staat als Krebsgeschwür bezeichnet.
Neben der Bedrohung durch ein massives Raketen- und Drohnenarsenal fürchtet Israel auch das umstrittene Atomprogramm des Irans. Die USA haben Teheran immer wieder unterstellt, nach Nuklearwaffen zu streben. Der Iran bestreitet die Vorwürfe und beteuert, sein Atomprogramm rein zivil zu nutzen. Ein religiöses Rechtsgutachten durch Chamenei hatte zudem Massenvernichtungswaffen als unvereinbar mit dem Islam verboten.
Kurz nach dem Angriff auf Israel versammelten sich Regierungsanhänger im Zentrum der Hauptstadt Teheran, um die Vergeltungsschläge zu feiern. "Iran musste reagieren, um seine Stärke zu demonstrieren", sagte ein Bewohner dann am Sonntag in der Millionenmetropole. Ein Großteil der Bevölkerung sieht die Raketenschläge jedoch mit Sorge. Irans Staatsführung ist so unbeliebt wie lange nicht mehr. Vor allem die junge Generation hatte bei Protestwellen der vergangenen Jahre offen den Sturz des islamischen Herrschaftssystems gefordert.
Anders als in der arabischen Welt beteiligten sich im Iran seit Beginn des Gaza-Kriegs keine Massen an den Solidaritätsdemonstrationen für die Palästinenser. Desillusioniert von fehlenden Zukunftschancen und einer repressiven Regierung dürften sich viele Iranerinnen und Iraner nicht dem Kurs ihrer politischen und religiösen Führung anschließen.